Ausgezeichnet schreiben und reden wie Freud


Kategorie: Schreiben Reden
| 26.09.2012 | 2 Kommentare

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Wien, Berggasse 19, 15.00 Uhr. Ich war pünktlich zur Sprechstunde von Prof. Dr. Sigmund Freud. Leider konnte ich nicht auf seinem Sofa Platz nehmen; das steht nämlich in London.

Als ich mich im Wartezimmer umschaute, fiel mir eine Urkunde ins Auge: Der Goethepreis! Freud bezeichnete ihn als „Höhepunkt meines bürgerlichen Lebens“ (in der „Nachschrift“ zur „Selbstdarstellung“). Der Goethepreis ist ja nun nicht ein Preis für Mediziner oder Forscher, sondern Schriftsteller. Die Begründung würdigt Freud daher nicht nur als „großen Gelehrten“, sondern auch als „Schriftsteller“.















Da haben wir’s. Wenn Sie mich fragen: Freud verdankt seine Popularität nicht nur seinen außergewöhnlichen Thesen (die haben viele), sondern auch seinem ausgezeichneten Stil.

„Ausgezeichnet“ – so lautete schon die Deutsch-Note des jungen Sigmund, wie ich seinem Zeugnis entnehmen konnte. Nur im „sittlichen Betragen“ war er noch besser: „mustergültig“.

Was mich jetzt natürlich interessiert: Was können Sie und ich von Freud in Sachen „Stil“ lernen? Und zwar egal, ob wir die Psychoanalyse gut finden oder nicht.

Schauen wir uns doch einmal die „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ an, die Freud als Vorlesungen hielt und dann als Buch veröffentlichte. Schon beim Blick auf die ersten Seiten lassen sich vier Stilmittel ableiten.


Stilmittel 1: „Sie“
Freud sprach den Zuhörer und damit den Leser an. Das schafft Nähe!

Also sprechen Sie bitte nicht den Leser in der dritten Person an! Negativspiel ist so ein Schild wie „Der Kunde ist König.“ Denn damit fühlt sich der Kunde nicht angesprochen. Wie sollte es heißen? Richtig: „Sie sind König“.

Also auch nicht: „Die Mitarbeiter sollen / werden gebeten sich anzumelden“, sondern „Bitte melden Sie sich an!“


Stilmittel 2: „ich“

„Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ...“ so beginnt Freud die Vorlesung. Und er bleibt bei dem „ich“.

Das ist das Schlimme am wissenschaftlichen Stil, dass viele Professoren den Gebrauch von „ich“ verbieten. Die schlimme Alternative: Passiv. Also heißt es dann leider nicht: „Ich untersuche“, sondern „In dieser Arbeit wird untersucht“.

Viele Schreiber schleppen dann im Berufsleben das Erbe der wissenschaftlichen Sprache mit sich herum und scheuen sich, das Wort „ich“ zu verwenden.

Wenn Sie schreiben, schreiben Sie bitte in der 1. Person. Das ist persönlicher als Passiv und auch persönlicher als das „Wir“.


Stilmittel 3: Fragen

Freud stellt Fragen, die er dann im Laufe der Untersuchung beantwortet (z.B. „Was für Motive hätten Sie, an die Wahrhaftigkeit seiner Mitteilungen zu glauben?“).

Fragen sind Muntermacher für müde Texte. Streuen Sie immer wieder eine Frage ein!


Stilmittel 4: Einwände vorwegnehmen

Freud nennt einen Einwand („Nun werden Sie ein Recht zu der Frage haben, ...“) und geht auf diesen Einwand ein.

Das hat gleich vier Vorteile:

  1. Es macht die ganze Sache lebendig.
  2. Es drückt  Wertschätzung gegenüber dem Zuhörer / Leser aus
  3. Es wirkt souverän und erfahren.
  4. Es wirkt überzeugend.


Das können Sie auch!

Freud hat in Sachen "Stil" noch mehr drauf. Überhaupt war er ein begnadeter Selbstdarsteller - und ein raffinierter Tiefstapler, wenn ich das hier mal sagen darf. Auch das können Sie unserer Textstellen entnehmen, z.B. der Formulierung: "Ich rate Ihnen eigentlich ab, mich ein zweites Mal anzuhören."

Aber genug davon. Zwei Bemerkungen zum Schluss:

Diese Stilmittel gelten fürs Schreiben wie fürs Reden. Oder soll ich sagen "fürs Reden wie fürs Schreiben"? Denn eigentlich entstammen sie der Rede-Situation. Und deswegen machen sie einen Text lebendig. Je mehr Stilmittel Sie von der Rede in die Schreibe hinüberretten können, desto besser!

Und schließlich: Sehen Sie, mit welch einfachen Mitteln Sie eine Rede oder einen Text bereichern können? Dann tun Sie es!


Ein längeres PS

PS. Es gibt natürlich auch Stilmittel, die für die Rede gelten, aber für die Schreibe eher weniger. So z.B. das schrittweise Entfalten des Gedankenganges, worin Freud ebenfalls groß war.

Wobei: Das können Sie auch mal in Texten nutzen, und in manchen Reden wiederum ist es nicht angebracht. Bei Kurz-Präsentationen rate ich immer dazu, das Ergebnis zu Beginn zu bringen. Würde aber hier zu weit führen zu erklären. Das erkläre ich gleich noch im Seminar.

Ich bin nämlich nicht wegen Sigmund Freud nach Wien gefahren, sondern um ein Seminar bei Plasser & Theurer zu geben. Wenn Sie mal Maschinen für den Eisenbahnbau brauchen, kann ich die Ihnen nur empfehlen! 



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Kommentare: 2

Simon Misar | 19:51 Uhr | 26.09.2012
Lieber Herr Lengen,
Schön dass Sie bei uns in Wien waren!

Ich genoss das Seminar! Sie betonen zeitlose Werte für den zwischenmenschlichen Umgang. Das findet man heute leider selten.
Da haben Sie sich diesen Mehrwert des Besuchs ohne Zweifel verdient. :)

Alles Güte und bitte machen Sie weiter so,
Simon Misar
Ralf Lengen | 22:57 Uhr | 26.09.2012
Lieber Herr Misar, vielen Dank für Ihren freundlichen Kommentar - und für die Gastfreundschaft! Es hat Spaß gemacht, mit Ihren Kollegen und Ihnen zu arbeiten.

Und: Unbedingt mal das Sigmund-Freud-Museum besuchen! Im Gegenzug verpflichte ich mich dann zu einem Museumsbesuch hier in Berlin.
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