Die Falle des Verurteilens


Kategorie: Leben
| 22.11.2018 | 0 Kommentare

"Wie kann man nur!" wollte ich gerade rufen und mich mokieren über einen Kollegen, der mir übel mitgespielt hatte. Doch fiel mir Josephine Baker in den Arm - und flüsterte mir zu:


"Übrigens verurteile ich niemanden. Ich will nicht verurteilen."

Josephine Baker: Ich tue, was mir paßt. Vom Mississippi zu den Folies Bergère, Hamburg, 1980, S. 109


Das finde ich stark von Ihnen, Frau Baker. Sie hatten ja viel mit Menschen zu tun. Menschen, die sich nicht immer sehr fair Ihnen gegenüber verhalten haben.

Ich bin noch nicht so weit. Ich bin oft schnell mit einem Urteil bei der Hand. Und bei anderen bin ich da schärfer als bei mir selbst. Nicht nur aus Egoismus heraus, sondern auch aus einem weiteren Grund, den William Somerset Maugham treffend beschreibt:


"Das liegt vermutlich daran, dass wir wissen, was alles zu ihnen [= unseren Vergehen] geführt hat, und so uns selbst etwas nachsehen, was wir bei anderen nicht entschuldigen können."

Thomas und Simone Stötzel: Denken mit W. Somerset Maugham. Über Skepsis und humorvolle Resignation, die Natur des Menschen und den Beruf des Schriftstellers, Zürich 2009, S. 79f.


Aha, bezogen auf meinen Kollegen: Ich wusste gar nicht, wie es zu diesem Verstoß gekommen ist. (Doch mittlerweile schon - und ich beginne ihn zu verstehen.) Ich hatte selbst auch einen vergleichbaren Verstoß begangen und hatte ziemlich Verständnis für mich.

Ich sollte mal etwas vorsichtiger sein und die Baker-Methode anwenden. Denn, wie gesagt, auch ich habe einiges auf dem Kerbholz. Schon Jesus sagt in der Bergpredigt zu seinen Jüngern: 

"Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet"

Die Bibel, Matthäus 1


Und bei einer anderen Gelegenheit sagt er


"Wer ohne Fehler ist, werfe den ersten Stein"

Die Bibel, Johannes 8,7


Wenn Ihnen das zu moralisch ist (was es meiner Meinung nach gar nicht ist), dann hilft Ihnen vielleicht noch ein Satz von Josephine Baker. Er steht direkt nach den oben zitierten Sätzen. Ich fand ihn rührend und umwerfend zugleich. Mögen Sie uns bitte verraten, Frau Baker, warum Sie niemanden verurteilen?


"Im Grunde hat jeder genug Kummer."

Josephine Baker, ebenda.


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