Was Joachim Fest an Ulrike Meinhof gut fand


Kategorie: Die Meister
| 16.10.2017 | 6 Kommentare

Das hätten Sie wohl nicht gedacht, was? Ich auch nicht. Hier der liberal-konservative Publizist, dort die linksradikale Terroristin. Dass die sich überhaupt miteinander unterhalten haben! Warum, das werde ich demnächst hier erklären. Jetzt aber: Was fand Fest an Meinhof gut?

„Zum Erstaunen mancher Freunde sprach ich damals von ihrer einnehmenden Nachdenklichkeit und erzählte, wie sie nicht selten ihre Überlegungen durch längere Pausen unterbrach, in denen sie die Argumente wog und womöglich auf den treffenden Begriff zu kommen suchte. Bisweilen korrigierte sie sich auch oder erbat eine Bedenkzeit. Es waren ihre gewinnendsten Augenblicke.“

Joachim Fest: Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde, Reinbek bei Hamburg 2004, S. 253f.

„Einnehmende Nachdenklichkeit“? Ich hatte bei Ulrike Meinhof mit allem gerechnet, nur nicht damit. Bei ihr kommt mir wie auch einer Testperson, die ich fragte als erstes das Wort „Terror“ in den Sinn. Ja, ihre späteren Terrorakte verstellen uns den Blick auf ihre intellektuelle Seite.

Was Fests Bemerkung uns zu sagen hat? Nun, man muss Sie und mich nicht mögen, man kann völlig anderer Meinung sein, doch wenn wir uns im Gespräch durch „einnehmende Nachdenklichkeit“ auszeichnen, wird man den Dialog mit uns schätzen!

Wer sagt denn, dass wir auf einen Wortschwall unseres Diskussionspartners mit einem Wortschwall antworten müssen? Wer sagt denn, dass wir etwas immer sofort raushauen sollen? Machen Sie eine Pause, überlegen Sie, erbitten Sie sich Bedenkzeit, und dann sagen Sie, was Ihrer Meinung nach zu sagen ist. Und wenn nötig und es wird nötig sein! – korrigieren Sie sich!

Im Laufe des Artikels berichtet Fest übrigens von ihrer zunehmenden Radikalisierung, die sich auch in ihrer Gesprächskultur niederschlug:

„Doch dann kam ihr Widerspruch ungewohnt auffahrend, auch merklich unduldsamer als früher. Ich hatte stets ihre Nachdenklichkeit geschätzt, ihr Bemühen zu eigenen Einsichten.“

Ibidem, 263.

Nachdenklichkeit! Mehr Nachdenklichkeit!


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Kommentare: 6

Reiner Kirsten | 19:09 Uhr | 30.10.2017
„Nachdenklichkeit“ ein sehr schönes Wort das man heute selten hört, schlimmer noch: Wir pflegen eine Kultur der Pistolenantwort, erst unsere Worte schießen, auf Reaktion warten, bei Antreffen sich genüsslich zurücklehnen oder bei Gegenangriff sofort eine zweite ‚Kugel‘ abschießen. Leider wird dies uns täglich durch Politik und Medien in großen Umfang an den Kopf geworfen
Meine Devise: Wirkliche Diskussion bedarf gutes Zuhören, Verständnis aufbauen, mit Nachdenklichkeit ein überdachtes Antworten.
Ralf Lengen | 20:33 Uhr | 30.10.2017
"Pistolenantwort" - ein schöner Begriff für eine hässliche Methode. Ich gestehe, ich habe sie auch schon häufiger angewendet - und denn auch gleich die Quittung bekommen: in Form einer Kugel vom Gegenüber.
Cyrus Kathmann | 14:44 Uhr | 02.11.2017
Genau, bei den heutigen Talk-Shows ist Nachdenklichkeit, Abwägen von Argumenten und das Ringen um die richtige Begrifflichkeit nicht vorgesehen. Es sollte ein langer Weg durch die Institutionen werden, es wurde für viele Diskussionswütige ein kurzer Weg vom "Bemühen zu eigenen Einsichten" hin zum Dogma.
Ralf Lengen | 18:01 Uhr | 02.11.2017
Leider, leider! In der Tat, Talk-Shows bieten diese Nachdenklichkeit weniger. Wobei -- das ist nicht allein den Machern vorzuhalten, sondern auch den Teilnehmern. Als Vertreter von Parteien, Verbänden, Unternehmen usw. sind sie es ja ihrer Klientel schuldig, deren Interessen zu vertreten.

D.h. selbst wenn ein stichhaltiges Argument vorgetragen werden würde, würden sie sich dem nicht beugen wollen. Gemäß dem schönen englischen Sprüchlein: "A man convinced against his will, is of the same opinion still."

Aus diesem Grund schaue ich - wiewohl politisch äußerst interessiert - politische Talk-Shows nur noch in mikroskopischen Mengen an. Es findet eben keine ergebnisoffene Diskussion statt, sondern nur die Präsentation von unterschiedlichen Interessen.

Gleiches gilt übrigens auch für den Bundestag. Ein Parlament dient nicht der Diskussion oder Überzeugungsarbeit (eine der wenigen Ausnahmen: die Bonn-Berlin-Debatte), sondern dem Schaulaufen. Das kann man niemandem zum Vorwurf machen, liegt eben in der Natur der Sache.

Was mich nur stört: Dass Inhalte bis hin zu einzelnen Formulierungen zunehmend danach beurteilt werden, von wem sie geäußert werden. Nach dem Motto: "Die darf das sagen, der aber nicht." (weil "die" der richtigen Partei angehört, "der" aber nicht).
Thilo | 14:28 Uhr | 07.11.2017
Kiek... Gut beobachtet, Herr Lengen!

Vielleicht einer der entscheidendsten Gründe für den eklatanten Verlust an Vertrauen in die Politik? Was ist schon Demokratie ohne Dialogkultivierung - respektive Nachdenklichkeit. Was würde passieren, wenn sich unsere Politiker - Bedenkzeit erbetend - selbst einen Kopf machen könnten, ohne gleich um selbigen gekürzt zu werden? Was ist das für eine Demokratie, in der die vorgefasste Meinung mehr wiegt als das Überzeugung und Gewissen?

Andersrum hat Meinhof natürlich bewiesen, dass auch die Nachdenklichsten antidemokratisch werden bzw. sein können - und dass sich auch ein scheinbar zutiefst dialogfähiger Geist jeglichem effektiven Korrektiv entziehen kann.
Wenn aber mehr als zwei diskutieren, sollte man besser der Schnellste sein. | 10:13 Uhr | 13.11.2017
Ja, Nachdenklichkeit ist eine Tugend, aber wenn mehr als zwei diskutieren, hat sie meistens keine Chance. Dann dominiert der Schnellste.
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