Worauf ich bei der Auswahl von Mitarbeitern am meisten achte

Menschenkenntnis mit Goethes Mutter (1/2)
Kategorie: Managen
| 25.05.2016 | 4 Kommentare

Wie kann man herausfinden, ob ein Bewerber geeignet ist? Das ist eine Wissenschaft für sich! Mir als Agentur-Inhaber hat ein selbst entwickelter Test geholfen. Damit habe ich viele Bewerber aussortiert, ohne sie erst zu einem Gespräch einladen zu müssen. Denn gut erzählen können viele, gut arbeiten schon weniger und gut mit anderen zusammenarbeiten noch weniger.

Mein Test funktionierte folgendermaßen: Die Bewerber bekamen von mir drei Pressemitteilungen per E-Mail und mussten sie innerhalb von 45 Minuten redigieren. Nach diesen 45 Minuten besprachen wir miteinander am Telefon das Ergebnis.

Die Bewerber meinten vielleicht, es ginge bei diesem Test um ihre fachliche Qualifikation. Nein! Darum ging es mir nur zu zehn Prozent. Denn nur zehn Prozent waren wirklich so schlecht, dass sie aus fachlichen Gründen nicht in Frage kamen.

Nein, mir ging es um etwas Anderes: Ich wollte herausfinden, wie gut ich mit ihnen zusammenarbeiten konnte. Dabei achtete ich auf zwei Dinge: Zum einen, wie sie mit der Stress-Situation umgingen. Denn in 45 Minuten drei Texte gut redigieren das war eine kaum lösbare Aufgabe. Zum zweiten wollte ich erfahren, wie sie mit ihren Fehlern und mit Kritik umgingen. Ehrlich gesagt, ging es mir mehr um letzteres. Warum? Die Antwort weiß Goethes Mutter:

„Ein Mensch, der seine Fehler nicht weiß, oder nicht wissen will, wird in der Folge unausstehlich, eitel, voll von Prätensionen [= Ansprüchen],  intolerant niemand mag ihn leiden, und wenn er das größte Genie wäre, ich weiß davon auffallende Exempel.“

Katharina Elisabeth Goethe in einem Brief vom 9. September 1784 an Friedrich von Stein, in: Frau Rath. Briefwechsel von Katharina Elisabeth Goethe, herausgegeben von Robert Keil, Leipzig 1871, Brief Nr. 27, S. 225.


Was kann ich mit einem Mitarbeiter anfangen, der seine Fehler nicht einsieht? Der sich ohne Ende verteidigt? Der die Schuld auf die Umstände oder andere schiebt? Der mir so etwas antwortet wie „Aber Sie haben doch auch …“? Der mich einfach nur anschweigt, wenn ich ihn kritisiere? Der ausfallend wird? Der sich beleidigt zurückzieht? Der zwar allgemein zugibt, auch Fehler zu machen, aber konkret nie einen zugibt?

Es gibt noch tausend weitere Spielarten. Welche es auch sind und welche verständlichen Motive (oder in der Lebensgeschichte begründete Ursachen) es auch gibt: Sie alle führen dazu, dass das Produkt schlecht bleibt und die Stimmung mies wird. Nee, das kann ich nicht gebrauchen.

Es war für mich gar nicht so schlimm, dass die Bewerber Fehler machten. Wenn wir sie gemeinsam korrigieren konnten, wenn ich das Gefühl hatte, dass sie sich und damit das Produkt verbessern würden, dann stand die Tür zur Zusammenarbeit offen. Fachliche Defizite lassen sich zu 90 Prozent ausgleichen, charakterliche zu 90 Prozent nicht. Goethes Mutter kannte auffallende Exempel, ich auch. Sie sicher auch.

Was das für Sie heißt: Achten Sie bei der Auswahl von Mitarbeitern, aber auch im persönlichen Bereich darauf, sich nicht jemanden einzufangen, der nicht mit Kritik umgehen kann. Denn wo Menschen miteinander arbeiten und leben, werden Fehler gemacht. Und diese Fehler müssen angesprochen und idealerweise abgestellt werden. Sie werden daher keine Freude an Mrs. oder Mr. Perfect haben. Wer keine Fehler einsieht, wird sie nicht verbessern   und sich selbst erst recht nicht.

Kommen wir zu uns beiden: Auch wir machen Fehler. Ja, ja, das lässt sich leicht sagen. Aber wie gehen wir damit um, wenn wir einen Fehler machen? Wie würde Goethes Mutter uns beurteilen?


PS. Ich muss doch noch etwas zu meinem Schreibtest sagen: Was mir bis heute Kopfzerbrechen macht, ist die abnormal hohe Quote von Computer-Zusammenbrüchen bei den Bewerbern während der 45-minütigen Tests. Meine Word-Datei war sauber, daran kann es nicht gelegen haben. Aber woran dann?    

PPS. Goethes Mutter hat noch einen zweiten Tipp für die Auswahl von Mitarbeitern parat. Demnächst hier!

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Kommentare: 4

Thilo | 15:24 Uhr | 27.05.2016
Interessanter Artikel!

Ein Thema, das doch immer wieder auftaucht - diese ominöse "Kritikfähigkeit". Ich glaube, dass dabei die Beziehung zwischen den Akteuren eine sehr große Rolle spielt. Vergesse ich beim Kritisieren, dass ich es mit einem Menschen zu tun habe, der Respekt verdient hat? Wie auch immer, von welcher Seite auch immer - der Ton macht sicherlich die Musik.

Tolle Realsatire, das mit den Computerzusammenbrüchen... :D

peace
Thilo
Ralf Lengen | 16:04 Uhr | 27.05.2016
Unbedingt! Aber, wenn ich so direkt sein darf: Das ist hier nicht das Thema. Über die Kunst richtig zu kritisieren lassen sich ganze Bücher schreiben (zum Beispiel "Die 10 Schlüssel der wirksamen Kritik", Ende des Werbeblocks).

Das Schlimme ist nur: Wenn sich die Kritisierten damit herausreden, die Kritik sei nicht richtig vorgebracht worden. Auch wenn das stimmen sollte: Der Anlass der Kritik bleibt bestehen. Und so ist es ein Zeichen besonderer Kritikfähigkeit, wenn man Kritik annimmt, selbst wenn sie von der falschen Seite kommt oder in falschem Ton oder zur falschen Zeit vorgetragen wird.

Wie gesagt: Zwei Themen: 1) Kritisiere ich richtig? und 2) Reagiere ich richtig auf Kritik? In diesem Artikel ging es mir um letzteres.

Friede sei mit Dir!
Thilo | 18:17 Uhr | 27.05.2016
Aber hallo!
Das ist aber schon eine besondere Klasse, quasi die Königsdisziplin. Kritik jeglicher Art ohne Ansehen der Art oder Quelle nüchtern analysierend anzunehmen - bezeichne ich mal als Fiktion. Wobei... Die brillant geschriebene wie auch gespielte Serie "House of Cards" ist gerade in Hinsicht auf diese Form der Kritik(fähigkeit) sehr interessant, wie ich finde. Gerade Politiker müssen sicherlich äußerst hart im Nehmen sein... vielleicht besonders amerikanische Präsidenten, die ja direkt über personenbezogene Popularität gewählt werden. Angefressensein wegen Kritik der Wahlkampfberater... Totales No-go. Und wäre auch äußerst teuer, wenn man sich die Wahlkampfbudgets anschaut.

Wahrscheinlich wird dennoch selbst der stramme Kritik-König Ihre theoretisch astrein getrennten Themen 1 und 2 niemals entflochten bekommen - und sei es, dass er es über ein zeitlich entkoppeltes Reagieren (vielleicht sogar vor sich selbst) zum Schein trennt...

Bitte fassen Sie das nicht als Kritik auf, Herr Lengen, sondern als Diskurs über die Frage, ob eine Trennung beider Themen sinnvoll ist - steckt doch hinter Ihrem Ansatz die Prämisse, Menschen seien tatsächlich wesentlich rational in ihrem Verhalten, bzw. zumindest dazu fähig. Das scheinen Verhaltensökonomen wie Dan Ariely anders darzustellen (z.B. im Buch "Predictably Irrational - The Hidden Forces That Shape Our Decisions" (2008)).

Es mag herausragende Größen geben, für die das nicht zutrifft. Aber kann man nach diesen Extremen allgemeine Verhaltensregeln formen?
Ralf Lengen | 18:58 Uhr | 27.05.2016
In der Tat ist das die Königsdisziplin! Das ist richtig schwer.

Meine Prämisse ist übrigens nicht, dass der Mensch ein rational entscheidendes und handelndes Wesen sei. Ist er eben nicht!

Aber er muss die Konsequenzen tragen, wenn er wider die Vernunft auf seinen ersten Impuls, auf seine Gefühle oder sonst etwas hört (wobei letztere auch positiv sein können, aber sie sind es leider nicht immer, dafür kenne ich mich zu gut).

Also nochmals zum Thema "Kritikfähigkeit" - und dabei muss ich gar kein Politiker sein: Wenn ich mit berechtigtem Hinweis auf eine schlecht vorgetragene Kritik diese abweise, obwohl sie inhaltlich wahr ist, verpasse ich die Gelegenheit, mich zu verbessern.

Wenn ich hingegen meine Wut, Enttäuschung - oder welches Gefühl auch immer dahintersteckt - überwinde, werde ich die positiven Früchte ernten. Ja, dazu gehört eine rationale Entscheidung. Und die kostet mich etwas, weil ich eben nicht per se (wir sind "im Diskurs", deswegen wollte ich auch einmal ein Fremdwort verwenden) rational entscheide und handle.

Ich darf noch ein Beispiel von mir hinzufügen. So manches Mal habe ich Teilnehmer im Seminar, die mir das Leben schwer machen. Sie wissen alles besser, sie kritisieren mich auf eine nicht sehr sympathische Weise. Das macht wirklich nicht Spaß. Doch im Nachhinein habe ich - wenn ich denn vernünftig / rational war - von ihrer Kritik profitiert, wenn ich sie umgesetzt habe. Ihr Motiv war meiner Einschätzung nach nicht lauter, aber die Kritik stimmte. Ich wäre schön blöd, dieses Kritik nicht anzunehmen.

Übrigens kann Kritik auch weh tun, wenn sie perfekt vorgetragen wird. Wenn ich als Seminarleiter kritisiert werde, war noch nie mein erster Gedanke "Hurra!". Aber in Nachhinein war ich meistens dankbar.
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