Überzeugen durch Charakter

Effektiv reden und präsentieren - ohne Rhetorik (Teil 2)
Kategorie: Reden
| 22.05.2013 | 0 Kommentare

Sie wollen andere überzeugen? Dann sparen Sie sich Rhetorik-Seminare – auch meines! Denn Überzeugung beginnt nicht mit dem ersten gesprochenen Wort, sondern früher. Wie, sagen Ihnen Salomo & Co. in meiner siebenteiligen Serie "Effektiv reden und präsentieren – ohne Rhetorik". Heute mit Teil 2: "Überzeugen durch Charakter".


Überzeugen Sie durch Charakter! Was das mit Rhetorik zu tun hat? Viel!

Beginnen wir bei A wie Aristoteles. Der hat nämlich in seiner Schrift "Rhetorik" folgendes gesagt:


"Die Rede bietet drei Mittel der Überzeugung: Das erste liegt im Charakter des Redenden, das zweite besteht darin, den Zuhörer in eine bestimmte Stimmung zu versetzen,das dritte besteht in der Rede selbst, und zwar im Beweisen bzw. dem Anschein zu beweisen."

(Aristoteles: Rhetorik I 2. 1356a1–4, Hervorhebung natürlich nicht von Aristoteles, sondern von mir)


Das griechische Wort, das Aristoteles hier verwendet und das gemeinhin mit "Charakter" übersetzt wird, ist "ethos". Davon ist unser Wort "Ethik" abgeleitet. Gemeint ist also nicht das individuelle Temperament, sondern die moralische / sittliche Qualität einer Person.

Doch schauen wir nochmals das Zitat an: Haben Sie es gemerkt? Aristoteles nennt nicht etwa die Beweise / Argumente zuerst (das würden wir vielleicht machen), sondern den Charakter!

Warum? Weil Beweise / Argumente wenig nützen, wenn jemand nicht glaubwürdig ist. Nehmen wir zwei Personen: Person A ist ein notorischer Lügner, Person B eine ehrliche Haut. Beide bringen überzeugende Beweise für ihre Sache vor. Wem würden Sie eher Glauben schenken?

Das war einfach. Gehen wir einen Schritt weiter: Die Argumente von Person A scheinen sogar überzeugender zu sein. Würden Sie ihr in diesem Fall eher Glauben schenken als der ehrlichen Haut? Interessanterweise: nein! Das sagt schon folgender lateinischer Rechtsgrundsatz:

"Testibus, non testimoniis creditur"
"Man glaubt den Zeugen; nicht dem, was sie sagen"

(Zitiert nach Detlef Liebs: Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München 1982, S. 207)

Deswegen verlassen wir uns beim Kauf eines Buches nicht nur auf Medien-Berichte, sondern auf Empfehlungen von Lesern. Aber nicht etwa aller Leser.

Das können Sie am Beispiel "Amazon" sehen. Amazon legt mittlerweile Wert darauf, die Glaubwürdigkeit von bestimmten Rezensenten hervorzuheben: entweder durch Klarnamen oder durch solche Bezeichnung wie "Top-100-Rezensent" oder ähnliches. Warum? Weil offensichtlich etliche positive Bewertungen von den Autoren selbst bei Freunden, Bekannten oder Praktikanten bestellt und dann unter Pseudonymen publiziert wurden. Tolle Bewertungen, toll geschrieben, aber ohne Wert.

Also: Glaubwürdig ist jemand nicht primär durch Argumente, sondern weil er oder sie als Person glaubwürdig ist. Wenn nicht, nützen die besten Argumente nichts.

Der Redetrick "Charakter" ist ein zweischneidiges Schwert: Er ist Trost für all diejenigen, die nicht so gut reden können, aber zur Kategorie "ehrliche Haut" gehören.

Und er ist ein Verdammungsurteil für diejenigen, die gut reden können, aber nicht von ihren Zuhörern oder Gesprächspartnern als ehrliche Haut eingestuft werden. Sie haben verloren, bevor sie den Mund aufgemacht haben.

Für uns alle heißt das: Wir sollten viel Zeit in die Vorbereitung einer Rede investieren und noch mehr Zeit in die Vorbereitung unserer selbst.

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Schlagworte: Charakter glaubwürdig überzeugen
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