Mehr Aktiv statt Passiv!


Kategorie: Schreiben
| 21.06.2018 | 0 Kommentare

„Ich küsse“ ist Aktiv. „Ich werde geküsst“ ist „Passiv“.

„Küssen“ und „geküsst werden“ beides ist schön, aber was ist schöner? Grammatisch, meine ich! Hier hat das Aktiv dem Passiv gegenüber drei Vorteile:


Vorteil 1) Dynamischer
Das Aktiv wirkt flotter, und direkter als das Passiv. „Der Kunde startet die Anwendung“ wirkt frischer als „Die Anwendung wird gestartet“.


Vorteil 2) Klarer
Womit wir beim zweiten Grund wären: Aktiv ist eindeutiger, weil der Verursacher genannt werden muss. Beim passiven „Die Anwendung wird gestartet“ ist nicht klar, von wem. Vom Kunden? Oder vom Kunden des Kunden? Oder vom Verkäufer? Oder automatisch? Wenn ich so etwas beim Besprechen eines Textes frage, schaut mich oft der Verursacher dieses Verbrechens, äh Satzes ratlos an und sagt, „Oh, das kann ich so auf Anhieb gar nicht sagen“. Aha, aber der Leser, das arme Schwein, der soll es gleich wissen!

Also, Aktiv sorgt für Klarheit, beim Passiv kommt es schnell zur „Verdunkelungsgefahr“, würde Schopenhauer sagen (wenn er überhaupt so ein scheußliches Wort verwenden würde):
 
„Dunkelheit und Undeutlichkeit des Ausdrucks ist allemal und überall ein sehr schlimmes Zeichen. Denn in 99 Fällen unter 100 rührt sie her von der Undeutlichkeit des Gedankens.“

Arthur Schopenhauer: Ueber Schriftstellerei und Stil. Parerga und Paralipomena II 2, Nachdruck Zürich 1977, S. 571.

Wenn Sie Aktiv schreiben, zwingen Sie sich zur Klarheit. Sie benennen Ross und Reiter, und das kommt der Qualität des Textes zugute.


Vorteil 3) Einfacher:
Der dritte Grund hat etwas mit dem Satzbau zu tun. Denn in Passivsätzen rutscht das Verb .. ja, wo rutscht es hin? - nach hinten! Und das ist ungünstig. Warum? Lesen Sie selbst: „Die Verkäuferin wurde vom Kunden, als sie ihm widersprach und sagte, hier könne es keine Kulanz geben, weil die Garantie schon zwei Jahre abgelaufen sei, …“ — Ja, was wurde sie? „… kritisiert“? „Mit einem Wortschwall zugeschüttet“? „Getreten“? Oder gar „geküsst“? (Sie sehen, ich habe die Kurve zum Anfangsbeispiel bekommen!)

Also? Was ist so ungünstig daran? Dass im Verb die Hauptaussage des Satzes steckt. Und dass es mühsamer ist, das jeweils am Ende des Satzes zu erfahren. Man weiß eben gern gleich, wohin die Reise geht. Im Aktiv lautet der Satz: „Der Kunde kritisierte / küsste etc. die Verkäuferin, als sie …“ Sie sehen, hier kann ich sogar ein Ungetüm von Satz anfügen. Das macht gar nichts, denn die Hauptaussage ist gleich zu Beginn klar.

In den Worten von Mark Twain:

Als nächstes würde ich das Verb weiter nach vorn schieben. […] Daher bestehe ich darauf, dass diese wichtige Wortart an eine Stelle gerückt wird, wo sie leicht mit bloßem Auge erblickt werden kann.“

Quelle: Mark Twain: The Awful German Language, in: A Tramp Abroad, Hartford, CT, 1880.

Leider reicht das Aktiv allein nicht immer aus, damit das Verb vorn steht. Aber so viel ist klar: Wenn Sie Passiv verwenden, rutscht das Verb immer nach hinten.

Haben Sie es gemerkt? Ich habe nicht geschrieben „Wenn Passiv verwendet wird …“. Nebenbei haben Sie dabei einen Trick mitbekommen, wie Sie sich zum Aktiv zwingen. Sprechen Sie den Leser / die Leserin an! Das gilt besonders für meine Freunde, die Anleitungen und ähnliche Texte schreiben. Der Leser ist anzusprechen - nein: „Sprechen Sie den Leser an!“



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Schlagworte: Passiv Aktiv Verb
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